Es war an sich nicht mehr, als der ganz gewöhnliche Gang zum Arzt. Doch als ich die Praxis wieder verließ, hatte die Welt da draußen sich verändert. Irgendwie war alles viel grauer und kühler geworden. Mitten im Sommer sah ich bereits den Herbst und spürte den Winter.
Irgendwo auf einer Brücke blieb ich schließlich stehen, lehnte mich an das Geländer und blickte hinunter in die Tiefe. Zeit meines Lebens hatte ich davor Angst gehabt. Nun war sie verschwunden und mit ihr alle anderen Ängste und Fragen, die ich je hatte. Plötzlich war alles ganz klar und einfach. Ich musste grinsen, denn nichts war mir mehr ein Rätsel. Die Ängste, welche mich jahrelang verfolgten und quälten, die mir so vieles verwehrten, waren so lächerlich geworden. Irgendwie fühlte ich mich frei, frei zu gehen. Zum Glück hatte ich nie eine eigene Familie gegründet. Es blieben also nur die Geschwister, ein paar andere Verwandte und einige gute Freunde, welche zurückblieben. Das machte mir meine Entscheidung noch einfacher. Warten auf den schleichenden Tod? Oh nein, das wollte ich auf keinen Fall. Früher erschien mir eine solche Entscheidung als feige. Ist man selbst aber erst mal betroffen, sieht so manches ganz anders aus und viele Meinungen und Ansichten ändern sich. Auf jeden Fall wollte ich dem Tod aufrecht entgegen treten.
Ein paar Tage später lud ich meine Geschwister zu einem letzten Dinner ein. Mir kam es so vor, als würden sie alles unternehmen, um den Abend zu verlängern. Alles wurde hinausgezögert. So, als wollten sie, dass dieser Tag nie zu Ende geht. Sie wussten, dass sie nach diesem Tage keinen Bruder mehr haben würden. Ich glaube mich zu erinnern, dass ich der einzige war, der an diesem Abend witzelte und lächelte. Verstanden haben sie das wohl nicht so richtig, dabei war es doch so einfach. Ich war frei, endlich frei. Der Abschied zögerte sich genauso hinaus, weil immer wieder ihre Tränen kullerten und sie mich überreden wollten, nicht zu gehen. Ihre letzte Frage war, wohin ich denn nun gehen würde. Ich lächelte irgendwie befreit und antwortete lediglich „Nach Hause". Meine Geschwister blieben an dem Abend wohl zusammen. Sie wollten und konnten nicht alleine sein und ich glaube, sie waren immer noch wach, als morgens die Polizei klingelte.